Waltraud Kihn: Leserbrief zur Asylpolitik

05. September 2015

Zeigen wir Toleranz, Solidarität und Mitmenschlichkeit!

Seit Monaten wird die Berichterstattung in den Medien beherrscht von Nachrichten über Krieg, Zerstörung, Grausamkeiten und skrupelloser Geschäftemacherei auf der einen Seite und von Bildern und Berichten über Not, Elend, Verzweiflung, Flucht und Tod auf der anderen. Tausende und abertausende von Menschen verließen und verlassen weiterhin ihre Heimat, um in anderen Ländern Hilfe und Schutz zu suchen. Für viele der Flüchtlinge ist dabei Deutschland gleichbedeutend mit Hoffnung und Sicherheit.

Die große Mehrheit der Bevölkerung hier ist meiner Meinung nach auch bereit, diese Hoffnung nicht zu enttäuschen. Leider gibt es in unserem Land aber auch eine Minderheit, die diese Hilfesuchenden ablehnt, beschimpft und tätlich angreift. Alle, die ein solches Verhalten missbilligen, sollten vehement und lautstark dagegenhalten! Genau aus diesem Grund habe ich diese Zeilen geschrieben. Gleichzeitig möchte ich damit auch Stellung nehmen zum Leserbrief „Am Ende ist es wie immer der Steuerzahler“ von Herrn Albert Wüchner, erschienen am 03.09.2015 im Rhön- und Streuboten.

Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich vorneweg klarstellen, dass ich Herrn Wüchner keinesfalls mit den fremdenfeindlichen Randalierern in eine Schublade stecken will. Beim Lesen seiner Ausführungen wuchs in mir allerdings die Befürchtung, dass manche seiner Aussagen von gewissen Zeitgenossen schnell in eine Richtung hin interpretiert werden können, die es ihnen dann leicht macht, sie als Rechtfertigung für Ablehnung, Aggression und Agitation gegenüber Flüchtlingen zu benutzen.

So verweist Herr Wüchner zum Beispiel auf die große Flüchtlingswelle nach dem 2. Weltkrieg. Er spricht dabei von „Deutschen“, die in die Heimat ihrer „Ahnen“ zurückkehrten, die im Gegensatz zu den jetzigen Flüchtlingen aber zumindest die gleiche Kultur und Religion hatten. Dieses von Herrn Wüchner gewählte Vokabular rief in mir Assoziationen wach, die ich für sehr gefährlich halte, von denen ich hier lieber nicht schreiben will.

Weiter nennt Herr Wüchner die Willkommenskultur, die sich hierzulande zeigt, „erstaunlich“. Ich nenne sie lieber „erfreulich“. Denn warum soll es mich erstaunen, wenn Menschen anderen Menschen, die bei uns fremd sind und sich verloren fühlen, die Hand reichen und sie willkommen heißen? Das sollte eigentlich ein ganz normales und unspektakuläres Verhalten sein! Zudem bin ich überzeugt, dass zum Beispiel die Menschen, die die kürzlich am Bahnhof in München ankommenden Flüchtlinge spontan mit Nahrung, Kleidung und Plüschtieren beschenkten, dies aus vollem Herzen heraus, aus Mitgefühl und Empathie getan haben. In diesem Moment haben sie in erster Linie sicher nicht daran gedacht, gerade etwas „Wichtiges, Humanes“ zu tun, wie Herr Wüchner schreibt. Ich frage ihn außerdem: Was sollte mich davon abhalten, „den ankommenden Flüchtlingen die Aufnahme hierzulande so angenehm wie möglich zu gestalten“?

Herr Wüchner befürwortet, dass „jeder, der legal einwandert, qualifiziert ist, eine Tätigkeit zum eigenen Wohle und zum Wohle der Gesellschaft ausübt, bei der Integration unterstützt werden muss“. Da stimme ich ihm zu. Allerdings frage ich mich, wie es seiner Meinung nach mit der Integration derjenigen aussehen soll, die diese Forderungen nicht erfüllen können. Sind sie es etwa nicht wert, integriert zu werden? Ich meine, es darf auf keinen Fall zu einem Nützlichkeitsrassismus kommen, der danach fragt, „Wer ist ein Gewinn für unser Land?“, wie es ein hochrangiger Bundespolitiker formulierte.

Herr Wüchner schlägt vor, die finanzielle und materielle Unterstützung der Asylsuchenden „auch entgegen des Bundesverfassungsgerichtsurteils“ - (!) - zurückzufahren, weil sie „sicherlich auch ein Anreiz“ sei „nach Deutschland zu kommen“. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen! Die große Masse der Flüchtlinge kommt zu uns, weil die Menschen vor Krieg, Terror, Gräueltaten und Todesgefahr fliehen. Keiner, zum Beispiel aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Nigeria, Kamerun oder aus dem Senegal, wird seine Heimat verlassen und auf der Flucht sein Leben riskieren, um in Deutschland Unterkunft, Verpflegung und in den ersten 15 Monaten 143 € Taschengeld monatlich zu bekommen. Bei seinem Vorschlag hatte Herr Wüchner wahrscheinlich die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge im Blick. Aber auch bei ihnen stehen Schicksale im Hintergrund, die wir in unserem reichen und sicheren Deutschland nicht ignorieren oder pauschal verurteilen dürfen.

Mein Fazit lautet:

Zeigen wir Toleranz, Solidarität und Mitmenschlichkeit!
Geben wir bereitwillig ein Stück von unserem Kuchen ab! Es bleibt noch genügend für uns übrig!

Waltraud Kihn, Mellrichstadt

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